…7.00 Uhr, der Wecker klingelt.
Und wie bin ich in diesem goldenen Käfig gelandet und warum sagen so viele Menschen, dass es hier schön sei…
Wenn ich zurückblicke, dann habe ich mich damals ungefähr gefühlt, wie die Frau auf diesem Bild.
Ich war gefühlt eingemauert. Irgendwie lebendig begraben.
Mein Körper rebellierte an so vielen Stellen gegen meine Situation. Ich hatte mehrere Bandscheibenvorfälle, extreme Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Unverträglichkeiten und noch ein paar Krankheiten mehr.
Was war denn mit mir nicht in Ordnung? Sah doch von außen betrachtet alles so schön aus.
Und wer hatte mich begraben?
Gut geschminkt sah ich in meiner tatsächlichen Rolle damals so aus. Ich durfte mich mit den Titeln „Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht“ schmücken und hatte in der Münchner Innenstadt mit einem Kollegen zusammen eine eigene Kanzlei.
Knapp zehn Jahre später kann ich mir selbst die Antworten auf die Fragen geben, was mit mir nicht in Ordnung war und wer mich begraben hatte: mit mir ist alles in Ordnung. Mit mir war auch damals alles in Ordnung. Mein Körper, meine Seele hatten mich an so vielen Stellen darauf hingewiesen, dass ich im falschen Film mitspiele.
Ich hatte mich selbst lebendig begraben.
Ich hatte mich lebendig begraben, bei dem Versuch, alles im Leben richtig zu machen. Nicht (mehr) anzuecken, nicht alleine dazustehen, nicht pleite zu sein, anderen zu gefallen, (sogenannte) Freunde um mich herum zu sammeln, in einem (wirklich schönen) Zuhause zu leben, mit einem (wirklich wundervollen) Mann an meiner Seite. Mit einem gesellschaftlich angesehenen Job, einer gut gehenden Kanzlei, ein Status, den ich mir in jahrelanger, harter Arbeit kreiert hatte.
Aber es war nicht mein Leben. Es war nicht mein Zuhause. Es war auch nach 25 Jahren (danke dafür, Stephan) nicht mehr mein Mann. Nicht mehr für eine romantische Liebesbeziehung.
Es waren auch nicht wirklich meine Freunde. Oder zumindest nicht mehr,
Es war noch nie und überhaupt nicht mein Job. Nicht meine Welt.
Ich habe versucht, Konventionen und Erwartungen zu erfüllen. Im Job und auch sonst in meinem Leben.
Und eigentlich war das nie ich.
Ich war immer die Rebellin. Ich hatte immer Fragen. Fragen, die keiner hören oder keiner beantworten wollte. Ich hatte immer Lust, andere Wege zu gehen.
Aber ich hatte den Mut dazu verloren.
Ich hatte gelernt, mich anzupassen. Einer Gesellschaft, einem System.
Und das hat mich krank gemacht. Es hat mich unglücklich gemacht.
Ich habe mich damit lebendig begraben. Mich in einen goldenen Käfig gesperrt. Den in meinem Umfeld eigentlich keiner so sehen konnte, wie ich ihn empfunden habe.
Es war 2014, als ich gefühlt an meinem Tiefpunkt war. Rückblickend betrachtet tief im Burnout. Immer noch bei dem Versuch, an dem hart erarbeiteten Job festzuhalten. Mehr Fortbildungen. Vielleicht wird es ja noch mal besser.
Es war 2015, als ich meine Ernährung umgestellt hatte. Als ich aufgehört habe, Alkohol zu trinken.
Es war 2016, als ich meine Anwaltsozietät verlassen habe, meine Kanzlei verkleinert habe. Weniger gearbeitet habe.
Es war 2019, als ich Coachingausbildungen angefangen habe. Tonnenweise Bücher über persönliche Entwicklung gelesen habe. Als ich zugeben musste, dass ich in einem System gearbeitet habe, von dem ich kein Teil mehr sein kann und das ich auch von innen heraus weder bekämpfen kann noch bekämpfen will. Und spätestens im Wahnsinn, der 2020 begonnen hat, hätte ich dieses Schauspiel ohnehin verlassen müssen. Was war ich froh, dass ich das schon ein Jahr zuvor getan hatte. Inzwischen habe ich meine Zulassung als Anwältin zurückgegeben.
Es war Um Weihnachten 2019, als das Universum mich noch einmal im wahrsten Sinn des Wortes auf den Boden geworfen hatte.
Eigentlich hätte ich funktionieren sollen. Freunde und Verwandte besuchen und bewirten. Fröhlich und gesellig sein an Weihnachten.
Mein Körper hat gesagt, NEIN. Jetzt nicht und auch in Zukunft spielst Du diese Rolle nie wieder. Ich war Weihnachten krank. Ich lag im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Boden. Meistens im Bad und wusste nicht, auf welche Art mein Körper zuerst loslassen wollte, was er nicht mehr tragen konnte.
Mir wurde an diesem Weihnachten klar, dass ich noch mehr in meinem Leben ändern musste. Ich musste mich von meinem Mann trennen, ich musste aus meinem Haus ausziehen.
Das mit dem Haus fiel mir erstaunlich leicht. Das mit dem Mann nicht. Aber auch da musste ich durch. Das wurde mir eines Tages im Februar 2020 ganz klar.
Und ich bin meinem heutigen Ex-Mann extrem dankbar dafür, dass er meine Entscheidung annehmen konnte. Und auch er sich danach ziemlich bald aufgemacht hat, seinen Weg zu gehen. Wir können heute als enge Freunde auf unsere gemeinsame Zeit zurückblicken.
Danach durfte ich andere wundervolle Männer treffen, mit denen mir diese Form der Trennung leider nicht gelungen ist. Wir haben den Ausgang einer Trennung nie in der Hand. Sie können unfassbar schmerzhaft sein. Und trotzdem durfte ich lernen, dass Loslassen mit zu den wichtigsten Fähigkeiten auf dem Weg der Heilung gehört.
Ich konnte also Anfang 2020 einen großen Teil meines goldenen Käfigs loslassen.
Es war nun meine Aufgabe, mir nicht wieder einen neuen aufzubauen. Alte Muster sind hartnäckig. Und Gewohntes lässt sich – auch in neuem Gewand – so leicht wiederholen.
Das Leben hat mir regelmäßig neue Wake-Up Calls gegeben, wenn ich wieder dabei war, die alten Gitterstäbe in einer neuen Farbe anzustreichen, um sie wieder aufzustellen.
Und ich war unzählige male dran, mir wieder einen neuen aufzubauen. Das geht so leicht. Ein bisschen Farbe, ein bisschen Glitzer und schon können wir uns leicht wieder in der neuen Komfortzone lebendig begraben. Vielleicht ein bisschen lebendiger als zuvor, aber es bleibt ein Begraben Sein.
Ich ging also mit meiner inneren Arbeit weiter. Und ich ging im Außen weiter.
Von München ins münchner Umland. Von dort aus 2021 nach Brandenburg.
Von Brandenburg 2022 auf Reisen.
Angezogen von Andalusien bin ich von dort noch mal zurück nach Deutschland und habe (fast) alles verschenk, was ich hatte.
Mit ein paar Kisten, meinem VW Bus und meiner treuen vierbeinigen Begleiterin bin ich zurück nach Andalusien. Um dort kurz nach der Ankunft noch mal richtig vom Leben herausgefordert zu werden. Meine ursprünglichen Pläne dort hatten sich zerschlagen. Einmal. Und kurz darauf noch mal.
Ich durfte auch in meinem Neuanfang mehrfach neu anfangen. Bis ich verstanden hatte, dass ich alle Pläne gehen lassen darf. Und ich die Führung dem Universum übergeben darf. Das mir daraufhin ganz wundervolle Türen geöffnet hat.
Ich verbringe viel Zeit in Andalusien. Ich liebe das Land, die Natur, die Menschen und auch die Sprache, die ich noch lernen darf. Und ich bin weiterhin auf Reisen. Mit der klaren Vision, die sich langsam manifestiert, hier in Andalusien eine Base aufzubauen.
Wissend, dass das Leben Bewegung ist. Dass ich keinen neuen goldenen Käfig will. Nicht in Andalusien und auch sonst nirgends. Nicht mit dem, was ich tue, nicht mit den Menschen, mit denen ich mich umgebe.
Viele Begegnungen, geplatzte und erfüllte Träume, unzählige Tränen und Herausforderungen genauso wie großes Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und sehr viel Dankbarkeit für all das haben mich weiser, stärker und gelassener werden lassen.
Viel energetische Heilarbeit und die Arbeit mit einem Schamanen aus Kolumbien und seiner Pflanzenmedizin haben mir viel Kraft gegeben. Haben mich weiter zu mir zurückgebracht.
Ich durfte erkennen, dass ich auf meinem Weg der Heilung Spiegel und Begleiter brauche, aber keine Konzepte, klassische Lehrer oder die Zugehörigkeit zu einer Gruppe.
Ich durfte erkennen, dass ich eine freie Seele bin. Und was das bedeutet. Nämlich, dass ich mir meine Welt selbst kreiere. Dass mich nur das ausbremsen kann, von dem ich selbst glaube, dass es mich bremsen kann. Dass ich dem Leben vertrauen darf. Dass das Universum einen Plan hat, der viel schöner, großartiger und magischer ist, als mein kleiner Verstand sich das ausdenken könnte. Ich darf weiter lernen, mich dem zu öffnen, diese Fülle anzunehmen.
Voller Demut und trotzdem in meiner Schöpferkraft, geerdet in der wunderschönen Natur, mit einem offenen Herzen, freue ich mich auf die Dinge, die noch auf mich warten.
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